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Redebeitrag in Güstrow

Am 16. Juli fand in Güstrow die Demo des Bündnis „Ihr seid keine Sicherheit“ unter dem Motto „Wir sind 25.000 – Rechte Netzwerke in Justiz, Polizei und Militär zerschlagen!“ in Güstrow statt. Das Bündnis hat dort einen Redebeitrag gehalten, den ihr hier nachlesen könnt.

Moin beisammen! Ich spreche hier für das Bündnis „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992“. Wir vernetzen in diesem Jahr anlässlich des 30. Jahrestags verschiedene Akteur:innen in Rostock und organisieren am 27. August eine Großdemo zur Erinnerung an das Pogrom.

Das Pogrom in Lichtenhagen stellt den ersten weithin wahrgenommenen Ausbruch rechter Gewalt hier in Mecklenburg-Vorpommern nach 1989 dar. Wir sagen den ersten wahrgenommenen Ausbruch, weil es bei Weitem nicht der einzige organisierte rechte Angriff dieser Zeit war.

Das Pogrom in Lichtenhagen wird bis heute neben Mölln, Solingen und Hoyerswerda in einer Reihe besonders beachteter rassistischer Gewalttaten genannt. Es ist richtig und wichtig an diese Gewaltausbrüche zu erinnern. Als Bündnis, das sich die Überwindung jeder Form von Rassismus auf die Fahne geschrieben hat, möchten wir aber klarstellen: Diese Pogrome und Angriffe waren die Spitze des Eisbergs. Sie waren es ebenso, wie der rechte Terror in München (der sich am Freitag zum 6. Mal jährt) und die Anschläge in Halle und Hanau nur die Spitze des Eisbergs der heutigen Zeit sind.

Wir sind heute hier unter dem Motto „Wir sind 25.000“ zusammengekommen. Wir sind 25.000 Menschen, für die rechte Netzwerke bundesweit und insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern Schusswaffen und Munition horten. Und tatsächlich: Wir sind Einige der 25.000. In unserem Bündnis sind Organisationen, die auf der Feindesliste von Nordkreuz standen. Wir sind 25.000, die sich nicht einschüchtern lassen und nicht schweigen werden.

Es sind rechte Netzwerke, die bis heute den Rassismus in unserer Gesellschaft tragen und auf das Fundament staatlicher Institutionen stellen. Diese Fundamente müssen wir klar benennen. Wir müssen die Akteure dahinter offenlegen, verurteilen und entmachten. Auch hier einige Beispiele aus MV:

Beispiel 1: Rechte Verwicklungen bis ins Innenministerium

Lorenz Caffier, der von 2006 bis 2020 Innenminister in Mecklenburg-Vorpommern war, dürfte allen Anwesenden hier ein Begriff sein. Er verlor seinen Posten, nachdem u.a. bekannt wurde, dass er eine Waffe aus dem Umfeld des Nordkreuz-Netzwerks bezogen hat. Lorenz Caffier war 14 Jahre lang als Innenminister dafür zuständig, die rechten Netzwerke in MV zu überwachen – und kumpelte in dieser Zeit mit Teilen davon rum. Er war außerdem 14 Jahre lang für die Umsetzung von Asyl- und Aufenthaltsgesetzen in diesem Bundesland zuständig und verfolgte dabei eine Linie, die natürlich zu dieser Kumpelei passt. Nicht umsonst konnte er im April 2019 fröhlich verkünden, dass er gar nichts mehr ändern müsse in MV, um Horst Seehofers „AnkER-Zentren“ umzusetzen. So werden aus rechten Einstellungen rechte Institutionen.

Beispiel 2: NSU und andere Terrorist:innen

Die Rechtsterroristen des NSU-Netzwerks begingen mehrere Straftaten in MV: Am 25. Februar 2004 erschossen die Terrorist:innen Mehmet Turgut in Rostock-Toitenwinkel. 2006 und 2007 raubten sie in Stralsund Banken aus. Mecklenburg-Vorpommern war ihr Feriendomizil. Sie fühlten sich hier offensichtlich wohl und hatten ein Unterstützungsnetzwerk hier. MV war eines der letzten Bundesländer, das einen Untersuchungssausschuss einrichtete. Dieser stellte mit äußerst dürftigen Ergebnissen seine Arbeit ein – denn die dem Innenministerium (und damit wieder Lorenz Caffier) unterstellten Behörden arbeiteten schlichtweg nicht an der Aufarbeitung mit. Vor Kurzem wurde unter der neuen rot-roten Landesregierung ein zweiter Untersuchungssausschuss eingesetzt, der auch Verbindungen des NSU zu anderen rechten Netzwerken wie Oldschool Society, Combat 18, BaltikKorps sowie Nordkreuz in den Blick nimmt. CDU und AfD „warnen“ davor, dass sich SPD und LINKE endlich den kompletten Eisberg anschauen wollen. Möglicherweise könnte es unangenehm für sie werden. Wir sind gespannt, ob es gelingt rechte Netzwerke mit denjenigen aufzudecken, die potentiell strukturell mit ihnen verwoben sind.

Beispiel 3: Kampf um die Köpfe, Kampf um die Deutungen

Der ideologische Machtkampf der neuen und alten Rechten findet nicht nur in völkischen Siedlungen, auf Schießständen und in Amtsstuben statt. Längst tragen rechte Ideolog:innen ihre Deutung der Welt systematisch in bürgerliche Institutionen. Wir wissen nicht, ob folgende Beispiele auf diesem neurechten Nährboden gedeihen, oder bereits Ausdruck und Ergebnis einer Diskursverschiebung nach rechts sind, doch wir kommen nicht umhin sie anzukreiden: Das Landesverfassungsgericht MV entschied Ende 2019, das N-Wort sei nicht per se herabwürdigend. Es hat damit ganz konkret diesem rassistischen Wort die Tür in den Landtag aufgehalten. Abstrakt schafft es ein rechtsstaatliches Argument für all diejenigen Rassist:innen, die die Gewalt des Wortes leugnen. 2021 wurde bekannt, dass das LKA Mecklenburg-Vorpommern 2018 angeregt hatte, die Kategorie „Deutschenfeindlichkeit“ in die polizeiliche Kriminialstatistik aufzunehmen. Anlass waren 5 Vorfälle, in denen Cops in den Erstaufnahmestellen als Nazis bezeichnet wurden. „Deutschenfeindlichkeit“ ist kein Begriff, den sich empfindliche Polizist:innen aus der Provinz ausgedacht haben. Es ist ein Begriff, den rechte Akteur:innen seit Jahrzehnten im Sprachegebrauch und in Institutionen verankern wollen.

Rechte Netzwerke durchziehen unsere Gesellschaft und sie durchziehen Mecklenburg-Vorpommern. Sie schüren Rassismus: Personell, institutionell und strukturell. Um angesichts all der rechten „Erfolge“ den Kampf gegen Rassismus weiterführen zu können, müssen wir uns immer wieder vor Augen halten: Auch die antirassistischen Netzwerke sind handlungsfähig und schlagkräftig. Damals und heute – von Lichtenhagen bis Güstrow und weit darüber hinaus.

1991 protestierten die vom Angriff in Greifswald betroffenen Geflüchteten, indem sie und Unterstützer:innen eine Kirche in Neumünster besetzten. Die angegriffenen Vertragsarbeiter:innen in Lichtenhagen hatten Rettungspläne und waren organisiert. Sie kämpften anschließend noch mehrere Jahre ausdauernd und erfolgreich für ihr Bleiberecht. Lorenz Caffier wurde durch unermüdliche Kritiker:innen und investigativen Journalismus zu Fall gebracht. Das Team von „N-Wort stoppen!“ begegnet mit ihrer Kampagne dem Urteil des Landesverfassungsgericht mit Basispolitik und dem selbstsicheren Blick in eine Zukunft frei vom N-Wort. Bis heute streiten Akteur:innen in der Rostocker Stadtgesellschaft für die Umbenennung der Straße am Erinnerungsort in Mehmet-Turgut-Weg.

Am 27. August werden wir in Rostock unter dem Leitgedanken „Erinnern heißt verändern“ an all diese Zusammenhänge erinnern – Kontinuitäten von Rassismus und Kontinuitäten von Widerstand.

Mobilisiert in euren Städten, kommt nach Rostock und demonstriert mit uns!
Los gehts am 27. August um 14 Uhr am Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen.

Lichtenhagen bis Güstrow und weit darüber hinaus:
Rechte Netzwerke offenlegen, verurteilen und entmachten!
Rassistische Kontinuitäten benennen, brechen und überwinden!